In 14 Jahren ist ein lebenswichtiges Netzwerk im Südtiroler Gesundheitswesen entstanden, das während der Coronakrise großen Belastungen ausgesetzt war. Das Netzwerk für Essstörungen hat mit Primar Dr. Roger Pycha vom Psychiatrischen Dienst Brixen seit kurzem einen neuen Leiter, der auch staatliche Auflagen verwirklichen muss. Die Anlässe dafür waren in ganz Italien mehrere Todesfälle von Menschen, die an schwerer Magersucht litten. Zwei solcher Opfer beklagt leider auch Südtirol.
2018 hat das Gesundheitsministerium deshalb verfügt, dass Patientinnen mit Essstörungen an den Erste-Hilfe-Stationen besonders aufmerksam untersucht und bei Gefährdung im Krankenhaus aufgenommen werden sollen. Das Ministerium hat genau angegeben, wann das der Fall ist. Ein genaues Maß für das Gewicht im Verhältnis zur Körperoberfläche stellt der Body-Mass-Index dar. Man errechnet ihn aus dem Gewicht einer Person in Kilogramm dividiert durch das Quadrat seiner Körpergröße in Metern. Ein Body-Mass-Index (BMI) von weniger als 17,5 gilt als wesentliches Zeichen einer Magersucht oder Anorexie, ein BMI von mehr als 25 gilt als Übergewicht. Patientinnen mit der Diagnose Magersucht und einem BMI von weniger als 12, mit einer Körpertemperatur von weniger als 35 Grad, mit einem Ruhepuls von weniger als 40 oder mehr als 120 Schlägen pro Minute, mit Kalium von weniger als 3 mmol/l oder einem Blutzucker von weniger als 45 mg/dl sollen in Zukunft in einem Krankenhaus weiter behandelt werden. Je nach Gefährdung ist das in seltenen Fällen die Intensivstation mit künstlicher Ernährung, die Innere Medizin eventuell auch mit Sondenernährung oder die Psychiatrie für das viele Monate dauernde Ringen um langsame, psychologisch intensiv begleitete Gewichtszunahme, wenn keine Lebensgefahr mehr besteht. Betroffene, die bereits etwas stabiler sind, können auch im hoch spezialisierten Zentrum Villa Eea in Bozen oder in Bad Bachgart weiter rehabilitiert werden. In der Villa Eea können Betroffene in einer eigenen Wohngemeinschaft auch über viele Monate oder sogar Jahre leben, um im richtigen Augenblick den Schritt hinaus in das Tageszentrum derselben Einrichtung zu unternehmen. Aufnahmen in Bad Bachgart dauern in der Regel zwei bis drei Monate. Die Pädiatrie in Brixen nimmt Kinder und Jugendliche mit schweren Essstörungen auf, auch die Kinderpsychiatrie in Meran versorgt junge Patienten, wenn sie zusätzliche psychische Leiden aufweisen.
Die Basis des Netzwerks für Essstörungen bilden vier ambulante Teams in den Bezirken Bozen, Meran, Brixen und Bruneck. In diesen Teams arbeiten viele Berufsbilder zusammen, um Betroffene und ihre Familien gut zu begleiten und zu betreuen. Im Wesentlichen sind das verschiedene Ärzte, Psychologen, Ernährungstherapeuten und Pfleger. Ihre Aufgabe ist auch, mit den Hausärzten eine enge Zusammenarbeit aufzubauen. Die Behandlung findet dann außerhalb von Einrichtungen statt. Den Betroffenen gelingt es so leichter, einen normalen Lebensrhythmus aufrecht zu erhalten.
Zum Vizekoordinator des Netzwerks wurde Primar Dr. Michael Zöbl von der Kinderabteilung in Brixen ernannt. Er führt seit vielen Jahren eine Statistik und kann über das Jahr 2023 Erfreuliches berichten: Damals wurden in Südtirol 571 Patientinnen (93 % weiblich, 7 % männlich) wegen ausgeprägter Essstörungen behandelt, das sind um sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Neuerkrankungen sind sogar um neun Prozent zurückgegangen. Die während der Coronakrise massive Zunahme von Betroffenen um fast 40 Prozent scheint beendet zu sein. Von allen 2023 Behandelten waren 71 Prozent volljährig, elf Prozent von ihnen mussten stationär aufgenommen werden. Die behandelten Minderjährigen mussten in 18 Prozent der Fälle im Krankenhaus oder in Fachzentren bleiben.
In Meran besteht seit drei Jahren ein sehr aktives lokales Netzwerk unter Dr. Margit Coenen. In Bozen wurde das lokale Netzwerk unter der Koordination von Ernährungsmedizinerin Dr. Laura Valzolgher und Psychologin Dr. Elena Giovannini am 30. Jänner dieses Jahres gegründet. Und im ganzen Land kümmert sich Raffaela Vanzetta mit ihren Mitarbeiterinnen von der INFES um Aufklärungsarbeit und Ausbildung der Fachleute. Nur eine gut informierte Gesellschaft kann gezielt helfen.
Im Bild bei der Gründung des Netzwerks für Essstörungen Bozen: Natascia Mattei (ganz r.) und Anna Rolfini (ganz l.), Leiterinnen von Villa Eea, (2. und 3. v. l.) Elena Giovannini und Laura Valzolgher, Koordinatorinnen, (6. bis 8. v. l.) die Primare Michael Kob, Dienst für Ernährung, Laura Battisti, Pädiatrie Bozen, und Peter Marschang, Innere Medizin Bozen, (9. und 10. v. l.) Margit Coenen, Koordinatorin von Meran, und Renate Lechner, Fachärztin an der Ambulanz für Psychosomatik Bozen, (5. und 6. v. r.) Roger Pycha, Leiter des landesweiten Netzwerks, und Manuel Nicolè, Leiter der Psychosomtikambulanz.