Politik
Grenzüberschreitendes Projekt zwischen Ratschings und Mühlbachl
09.12.2020
Digitale Verwaltung – schon das Wort treibt so manch einem den Schweiß auf die Stirn. Das war bereits vor Corona so, doch die heurige Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns sind so etwas wie ein Stresstest für Gemeinden und andere öffentliche Verwaltungen, wenn es um Digitalisierung geht. Vieles klappt gut, und doch ist der digitale Nachholbedarf in den Gemeindestuben diesseits und jenseits des Brenners nicht zu leugnen.
Im Rahmen des grenzüberschreitenden EU-Förderprogramms Interreg Italien – Österreich 2014-2020 haben die Gemeinden Ratschings und Mühlbachl ein gemeinsames CLLD-Pilotprojekt mit dem Titel „Die digitale Gemeindestube“ auf den Weg gebracht. Das Hauptaugenmerk des Projektes liegt auf der Digitalisierung physischer Akten, vor allem aus den Bau- und Meldeämtern beider Gemeinden. Die Vorteile lagen bereits während der Planung auf der Hand und haben sich mit dem Abschluss des Projektes Ende November bestätigt. Digitale Akten erlauben eine erhöhte Verfügbarkeit und – bei Bedarf – auch einen dezentralen Zugriff. Die digitale Weiterbearbeitung reduziert den verwaltungsinternen Organisations- und Zeitaufwand und beschleunigt die Bereitstellung von Informationen für die Bürger und Bürgerinnen. Schließlich sollen letztere die wahren Nutznießer derartiger Projekte sein. Der Ratschinger Bürgermeister Sebastian Helfer bestätigt, dass die Digitalisierung heute für die Bürger und Bürgerinnen nahezu den gleichen Stellenwert hat wie vor Jahrzehnten die flächendeckende Stromversorgung oder der Bau von Zufahrtswegen. „Das Förderprojekt war für uns die Chance, ein wichtiges Vorhaben vorzuziehen, das wir ansonsten wohl um einiges später angegangen wären“, so Helfer, der zudem den Wert der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit betonte. In die gleiche Kerbe schlägt sein Amtskollege Alfons Rastner auf österreichischer Seite. Als Bürgermeister der Nordtiroler Gemeinde Mühlbachl hob er besonders den wertvollen Erfahrungsaustausch zwischen beiden Verwaltungen hervor. Die Digitalisierung stehe ganz oben auf den Agenden beider Gemeinden in den kommenden Jahren, bestätigen beide Bürgermeister unisono. Leider fehlten neben der Zeit, bei immer knapper werdenden Gemeindehaushalten, häufig auch die Mittel, um Digitalisierungsmaßnahmen umzusetzen.
Wichtiger Beitrag
Eine Erkenntnis von vielen in der Umsetzung des Pilotprojektes war jene, dass Digitalisierung nicht bedeutet, analoge Verfahren 1:1 ins Digitale zu übertragen. Nur wenn die zugrundeliegenden Verwaltungsprozesse klar definiert sind, lässt sich das volle Potential der Digitalisierung ausschöpfen. Der Erfolg eines Digitalisierungsprojektes steht und fällt also mit der Klarheit und möglichen Optimierung der Verwaltungsprozesse. Lehren wie diese wollen die beiden Gemeinden in einem weiteren Projekt in Form eines Handbuches verschriftlichen und damit einen Wissenstransfer hin zu anderen öffentlichen Verwaltungen in Süd- und Nordtirol unterstützen.
Im Zuge eines EU-Förderprojekts lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die digitale Performance der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu werfen: Im EU-Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) 2020, zu dessen inhaltlicher Bewertung auch der Digitalisierungsgrad der öffentlichen Verwaltung beiträgt, rangieren die beiden Länder Italien und Österreich auf sehr unterschiedlichen Positionen. Während Österreich den zwölften Platz belegt, zählt Italien zusammen mit Rumänien, Griechenland und Bulgarien zu den Schlusslichtern. Das Tiroler Kleinprojekt vermag den Index wohl kaum zu beeinflussen, und doch leistet es einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung von Verwaltungen, gerade in ländlichen Gebieten.