Politik
„Drastische Maßnahmen“ gefordert
25.09.2024
„Mit vereinten Kräften“ haben am 21. September das Team K Brixen sowie Bürgermeister und Bürgerlistenvertreter aus dem Wipptal und dem Eisacktal auf die „akute Gesundheitsgefährdung durch die Verkehrsbelastung auf der A22“ aufmerksam gemacht.
„Der Verkehr auf der Brennerachse nimmt schon seit geraumer Zeit drastisch zu und hat Ausmaße angenommen, die nicht mehr tragbar sind“, so Sabine Mahlknecht, Fraktionssprecherin des Team K im Brixner Gemeinderat bei der Pressekonferenz an der Autobahnausfahrt Brixen Nord. Bis Anfang September seien heuer allein in Brixen die Feinstaubgrenzwerte 40-mal überschritten worden. Die Luftschadstoffe, der Verkehrslärm und die Umweltbelastungen, denen die Menschen an und in der Nähe der vielbefahrenen Autobahn und im gesamten Eisack- und Wipptal täglich ausgesetzt sind, beeinträchtigen die Gesundheit, können zu Beschwerden, Krankheiten und Allergien führen und die Lebenserwartung verkürzen, so die Kinderärztin und Brixner Gemeinderätin Elisabeth Fulterer. In Nordtirol konnten die Schadstoffemmissionen dank Lkw-Nachtfahrverbot, Lärmschutzwänden und Tempo 100 deutlich reduziert werden. Von diesen Maßnahmen habe auch Südtirol profitiert.
Die Vertreter der acht Gemeinden kritisieren deshalb vor allem die „Versuche, am hart erkämpften und erprobten Nachtfahrverbot in Nordtirol zu rütteln“. Italien will sogar vor dem Europäischen Gerichtshof klagen, um „die Rechtssicherheit für die europäischen Spediteure wiederherzustellen“. Im Mai gab die EU-Kommission dem Einwand von Verkehrsminister Matteo Salvini Recht, dass einige Tiroler Maßnahmen den freien Warenverkehr einschränken würden. „Wer sich wie Salvini für freie Fahrt auf der Brennerautobahn stark macht, macht sich auch für die Gefährdung der Gesundheit stark“, so Mahlknecht. Unverständlich sei auch der Vorschlag von Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, während der Sanierung der Luegbrücke auf der Brennerautobahn A13 eine Lockerung des Nachtfahrverbotes in Betracht zu ziehen. Statt es aufzuheben, sollte es jedoch auf Südtirol und das Trentino ausgeweitet werden. „Wenn die Österreicher nachts ruhig schlafen dürfen, soll das auch für uns gelten“, so der Sterzinger Bürgermeister Peter Volgger. Durch die Ausweitung des Nachtfahrverbotes würden LKW-Fahrer nicht mehr in Sterzing stehenbleiben und für Chaos auf den Straßen sorgen, wenn sie frühmorgens wieder losfahren. Gemeinderat Thomas Zößmayr (Bürgerliste Ratschings) geht nicht davon aus, dass die einspurig befahrbare Autobahn während der Sanierung der Luegbrücke einen Verkehrskollaps verursachen wird, zumal auch bisherige Baustellen gut gemanagt worden seien. Bis 2043 werden sämtliche Autobahnbrücken in Nordtirol saniert, Baustellen werden somit auch in den kommenden Jahrzehnten zum Alltag gehören. Es sei an der Zeit, die Wirtschaft generell neu auszurichten und darüber nachzudenken, wie man Produkte möglichst transitfrei zum Kunden bringen kann. Eine Möglichkeit sei, verstärkt auf regionale Produkte zu setzen.
Noch zeige der Trend allerdings in eine andere Richtung: Derzeit fahren jährlich 2,5 Millionen LKW über den Brenner. Bis 2030 soll die Zahl auf drei Millionen steigen. „Die Schweiz hat es geschafft, durch eine Mauterhöhung die Zahl der LKW in ihrem Land von 1,5 Millionen auf 900.000 zu reduzieren – diese LKW fahren jetzt jedoch über den Brenner“, so Bürgermeister Volgger. Abhilfe schaffe auch das geplante Slot-System (buchbare LKW-Fahrten zur besseren Steuerung des Verkehrs) nicht, im Gegenteil. In Zukunft würden nur noch mehr LKW über den Pass und durch das Wipptal fahren.
Laut Gemeindereferent Heinrich Aukenthaler gehört die Gemeinde Freienfeld zu den Gebieten, die am stärksten von der Autobahn belastet sind. Vor der Mautstelle Sterzing stehen LKW und PKW oft im Stau, was zusätzlichen Lärm und Schadstoffausstöße mit sich bringe und viele Lenker dazu veranlasse, auf Straßen entlang der Autobahn und durch Dörfer auszuweichen. „Im Wipptal staut es fast jedes Wochenende“, so Lucia Russo, Gemeinderätin der Bürgerliste „Gemeinsam für Wiesen-Pfitsch“. Die Bewohner seien in ihrem eigenen Heimatort gefangen. Sind Straßen und Nebenwege verstopft, können im Notfall nicht einmal Rettungskräfte den Einsatzort erreichen. „Die Bevölkerung wünscht sich freie Mobilität und Sicherheit. Dieses Grundrecht kann durch das Abfahrtsverbot aufrechterhalten werden“, so Russo.
Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass auch jeder einzelne zur Verbesserung der Luft beitragen kann, indem er Eigenverantwortung übernimmt und sein eigenes Mobilitätsverhalten kritisch hinterfragt. Essentiell sei auch, Druck zu machen, damit die Politik Entscheidungen zum Schutz der Bevölkerung trifft. Auch die Brennerautobahn AG sei mehr in die Pflicht zu nehmen, so Mahlknecht, etwa durch den Bau von mehr Lärmschutzwänden entlang der Trasse. Die nötigen Geldmittel dazu habe sie, immerhin habe sie 2023 einen Gewinn von 80 Millionen Euro erwirtschaftet.
„Um eine Entlastung zu erwirken, braucht es gemeinsame Anstrengungen aller betroffenen Gebiete“, so Heinrich Aukenthaler. Auch wenn seit Jahrzehnten über den Verkehr gesprochen, Maßnahmen versprochen und zum Teil umgesetzt werden, wolle man „nicht lugglassen“. „Dass es im Bezirk mehr Krebskranke gibt als anderswo in Südtirol, kann nur mit dem Verkehr zusammenhängen, auch wenn es sehr schwierig ist, das zu beweisen“, so Bürgermeister Volgger. Aber zumindest formiere sich mehr und mehr Widerstand, der sich immer weiter nach Süden ausweite und irgendwann auch Salvini in Rom erreichen werde.
Die Forderungen
• bessere Auslastung der Schiene
• keinen Umweg-Verkehr mehr
• Einhausung der A22 in sensiblen Teilbereichen bzw. in wohnortnahen Gebieten
• durchgehende Lärmschutzwände entlang der Autobahn, Grünstreifen, luftfilternde Mooswände
• Beibehaltung des LKW-Nachtfahrverbotes in Nordtirol und Ausdehnung auf das Gebiet der Euregio
• temporäre Fahrverbote an Tagen mit besonders hoher Luftverschmutzung
• Abfahrverbote an besonders verkehrsintensiven Tagen
• keine Ausweichmöglichkeiten an verkehrsintensiven Tagen auf die Staatsstraße auf Kosten der Anwohner in Dörfern und Städten entlang der A22
• transparentes, verbessertes Monitoring der Luftverschmutzungsdaten, mehr Daten zur Lärmbelastung
• Messstationen in Städten und Tälern, wo Menschen wohnen und sich aufhalten, mobile Messstationen bei Stau, Weiterleitung der Daten nach Rom und Brüssel
Reaktionen
60 Millionen Euro für Lärmschutzwände
Laut Hartmann Reichhalter, Präsident der Brennerautobahngesellschaft A22, werden in den kommenden Monaten in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern und insbesondere von Wohngebäuden, die 100 bis 200 m von der Autobahn A22 entfernt sind, Lärmschutzwände errichtet. 30 Millionen Euro sind für die Gemeinden Klausen, Brixen und Sterzing vorgesehen, weitere 30 Millionen Euro für Freienfeld, Franzensfeste und Feldthurns; der Bau der Lärmschutzwand in Schrambach wird in diesem Jahr ausgeschrieben.
„Gesundheit und Wohlbefinden haben oberste Priorität“
Nachgefragt bei Landeshauptmann Arno Kompatscher
Erker: Herr Landeshauptmann, wollen Sie das Nachtfahrverbot in Nordtirol wirklich zu Fall bringen?
Arno Kompatscher: Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bürger haben oberste Priorität. Die Überlegung, das Nachtfahrverbot temporär zu lockern, wurde als Möglichkeit ins Spiel gebracht, falls nur mehr eine Spur auf der Luegbrücke befahrbar wäre. In diesem Fall wäre eine Ausweitung der Zeitfenster für LKW notwendig gewesen, um den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten und lange Staus zu verhindern. Ohne zusätzliches Zeitfenster würde man in einer solchen Situation riskieren, dass es tagsüber zu einer Überlastung der Brennerautobahn mit damit einhergehender erhöhter Verkehrs- und Gesundheitsbelastung entlang des Brennerkorridors kommen würde. Es handelte sich dabei um eine mögliche zeitbegrenzte Maßnahme für eine außergewöhnliche Situation.
Befürchtet wird auch, dass durch das geplante Slot-System in Zukunft nicht weniger, sondern noch mehr LKW über den Brenner fahren werden.
Mit einem Slot- System würde nicht mehr Verkehr über den Brenner fahren, sondern dieser zeitlich besser verteilt. Zurzeit gibt es keine Kapazitätsbegrenzung auf der Autobahn. Mit der Einführung eines Slots-System könnten die verfügbaren Kapazitäten definiert und gesteuert werden. Ziel ist es, die regelmäßige Überlastung der Straßeninfrastruktur zu verhindern. Verkehrsspitzen könnten dadurch ausgeglichen werden, indem LKW-Fahrten in schwächer ausgelastete Zeitfenster verlagert werden. Dies dient auch zum Schutz der Gesundheit der Bürger, da Staus und Kolonnenverkehr vermieden, sich LKW dadurch weniger lang auf der Strecke aufhalten und die Emissionen und Lärmbelastung verringert werden könnten.
Laut Vertretern von Team K und Bürgerlisten setzen sich regierende Parteien immer noch zu wenig für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung an der A22 ein.
Dieser Aussage muss ich klar widersprechen. Die Landesregierung setzt sich seit Jahren für einen „Digital Green Corridor“ ein: Dies umfasst u. a. Maßnahmen für ein besseres Verkehrsmanagement, die Dekarbonisierung des Brennerkorridors, die Errichtung von Lärmschutzwänden sowie die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene. All diese Maßnahmen tragen zum Schutz der Bevölkerung bei, da die Belastungen durch Schadstoffe und Lärm verringert werden.
Im Bild (v. l.) Stefan Perini (Bürgerliste Frischluft Klausen), Irmgard Spisser
(Bürgerliste Lajen), Elisabeth Fulterer (Team K-Brixen), Franz Ploner
(Team K-Landtagsabgeordneter), Sabine Mahlknecht (Team
K-Fraktionssprecherin im Gemeinderat Brixen), Edeltraud Zössmayr (Freie
Liste Brenner), Peter Volgger (Bürgermeister von Sterzing), Lucia Russo
(Gemeinsam für Wiesen-Pfitsch), Heinrich Aukenthaler (Freie Liste
Freienfeld) und Thomas Zössmayr (Bürgerliste Ratschings)
(rb)